Aus dem Französischen von Thomas Ostermeier und Florian Borchmeyer
3 D, 2 H
Auf dem Parkplatz vor einem Restaurant diskutiert ein Paar hitzig. Eigentlich hatte Boris, erfolgreicher Glasereiunternehmer Mitte Vierzig mit seiner Geliebten Andrea, einer Pharma-Assistentin und alleinerziehenden Mutter, ein romantisches Seitensprung-Dinner mit anschließendem Hotelbesuch im Sinn. Doch dann erwähnt er im Auto, dass ihm dieses Restaurant von seiner Frau empfohlen wurde. Eine kleine Unbedachtheit mit großer Wirkung, ja geradezu fataler Konsequenz. Andrea ist erbost und fühlt sich missachtet. Im Eifer der Diskussion fährt Boris beim Parkmanöver eine ältere Dame um. Zwar scheint diese unverletzt, doch entpuppt sie sich als Schwiegermutter von Francoise, der besten Freundin von Boris‘ Ehefrau. Rasch ist Francoise selbst mit ihrem Ehemann Eric zur Stelle. Mit boshaftem Hintersinn schlägt Andrea vor, gemeinsam zu Abend zu essen. Unfall und Schreck lassen Boris keine andere Wahl, als sich darauf einzulassen. Derweil kocht der Streit zwischen Andrea und Boris unterdrückt weiter und bald haben die Tischgenossen erkannt, welcher Natur die Beziehung der beiden ist. Zugleich tritt zutage, dass Boris‘ Firma aufgrund unüberlegter Investitionen kurz vor dem Bankrott steht. Die penibel gepflegte bürgerliche Fassade als geschäftstüchtiger Unternehmer und liebender Ehemann bröckelt – und bricht schließlich lautstark in sich zusammen.
UA am 16. Mai 2015 Schaubühne am Lehniner Platz, Berlin. Inszenierung Thomas Ostermeier mit Nina Hoss, Stephanie Eidt, Lore Stefanek, Mark Waschke und Renato Schuch
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Kritiken zur Uraufführung von „Bella Figura“
Es ist doch immer wieder ein Kunststück: mit nur ein paar Strichen, Sätzen auf Anhieb eine dramatische Situation zu schaffen. Und bei Yasmina Reza jetzt an der Berliner Schaubühne uraufgeführter Komödie „Bella „Figura“ ist man sofort – mittendrin … Der Witz ist nur: wie die 56-jährige Weltkomödienautorin Yasmina Reza sie immer wieder neu mischt. Und wie die fünf Akteure in Thomas Ostermeiers Inszenierung damit spielen.
… Hoss und Waschke sind jetzt das Paar Andrea und Boris. Sie küssen und sie prügeln sich. Was im Halbdunkel in und außerhalb eines auf die Mitte der Drehbühne (von Jan Pappelbaum) geparkten Peugeot 208 beginnt und sich in offenen Szenewechseln mit Sitzgarnitur, gedecktem Esstisch samt Langustenbecken auf der Restaurantterrasse fortsetzt und wieder auf dem Parkplatz endet, ist mal ein jäher, mal zäher Clash der männlich-weiblichen Zivilisation. Ist immer bei Yasmina Rezas Beziehungskistenboulevard und Menschheitsdrama in einem, mit dem poetischen Hauch von Molière, Schnitzler, Wilde und Tschechow, mit den dramaturgischen Komödienkniffen eines Alan Ayckbourn oder Woody Allen. Die sind alle Männer. Also kommen hinzu noch der ganz Reza-eigene sarkastisch melancholische Charme und die Antennen einer Autorin, die über Großstadtneurotiker oder Provinzkaufleute genauso beobachtungsscharf Bescheid weiß wie über das Innenleben einer Apothekergehilfin (Andrea), das Geheimnis einer Bettenverkäuferin, über Arzneien als Altersdrogen (Yvonne) oder die Psyche von mittelständischen Firmenjuristen (Eric).
Und manchmal, da explodiert, da implodiert nicht einfach nur die bürgerliche Fassade oder jener schöne Schein, den die Italiener die selbst in der größten Scheiße unverzichtbare „bella figura“ nennen. So sitzt Nina Hoss` Andrea mit verrutschten Zügen, halb offener Bluse und geknautschtem Rock auf dem Restaurantklo, schluckt Pillen, zankt oder schäkert mit Boris alias Mark Waschke und erinnert sich, dass er vor Jahren, als sie das erste Mal miteinander geschlafen haben, bemerkt hatte, wie ihr BH und der Slip ihr ins Fleisch geschnitten haben. „Ich wäre nie auf die Idee gekommen, Unterwäsche zu tragen, die nicht zu eng ist.“ Nur ein Satz. Aber wie zugleich würdig und demoliert, wie selbsterkennend und doch fast beiläufig ihn Nina Hoss spricht, erzählt er ein Stück Kultur- und Gendergeschichte, Reizwäsche als Selbsteinschnitt – das sprengt die Grenzen aller boulevardesken Seitenspringerei, in der Dessous zum Design auch des modernen Weibchens gehören. Das ist Rezas Kunst.
Und das macht Nina Hoss. Sie spielt diesen Abend sensationell. Ihre Hedda, Yella, Barbara, Regina, all die tollen Film- und Theaterrollen bis hin zur Hellman-Lady schießen in dieser Feierabendliebe namens Andrea zusammen … Mit und ohne Text ist das – eine wunderbare, im heutigen Theaterbetrieb nur noch selten zu erlebende Präsenz. Frei von allem Bühnengetön oder Verkünstelungspomp.
Wirklich komisch (oder traurig) ist ja, dass solches „Menschentheater“ schon als Rarität oder manchen als Kuriosität gilt. Das klingt dann, als sei Affen- oder Automatentheater die Alternative. Am Ende: Ovationen.
Peter von Becker, Der Tagesspiegel“
„…Den beiden bricht gerade der Boden unter den Liebesfüßen weg und sie bleiben mit den Beinen in der aufgebrochenen Erdkruste hängen, die noch unter jeder der Figuren der Dramatikerin Yasmina Reza sich aufgetan hat. Dass die Erdkruste nicht nur in ihrem Fall aus Boulevardasphalt besteht, tut dem Schrecken keinen Abbruch – er steigert ihn noch. Plötzlich ist da eine große Leere, in die sie hineinstarren. Für sie gilt wie in Rezas „Kunst“, wo ein weißes Bild, wie in „Drei Mal Leben“, wo eine Abendesseneinladung, wie im „Gott des Gemetzels“, wo eine Kinderrauferei die Erdkruste bersten lässt: Der Mensch ist ein Abgrund, man lacht, wenn man in ihn hineinschaut.
Nina Hoss … Eine Monsterlady par excellence. Kalt bis in die Herzwurzel. Aber abgrundverzweifelt bis in die Seelenspitzen. Tablettentrunken und psychoverwüstet, bis zur Bosheit, die nach Messern greift, um sie Boris in den Bauch rammen zu wollen. Am Ende sieht sie überm Parkplatz eine Sternschnuppe verglühen. Man weiß nicht, was sie sich wünscht. Man sagt ihr aber, dass Sternschnuppen verirrte Seelen von Toten seien. Die Andrea der Nina Hoss wirkt von Anfang an wie eine solche verirrte Seele, die im Fegefeuer verglüht, begleitet von ihrer mehr glühwürmchenhaft befeuerten Ko-Sternschnuppe Boris, der in Mark Waschkes cholerisch-wurstiger Gefühlsmüheverwaltung den Beifahrer auf der Peinlichkeitsachterbahn gibt.
… Weder scheinen Andrea und Boris fliehen noch standhalten, sondern nur zugrunde gehen zu können. In vollkommener Entblößung (‚Dein Glück liegt nicht in meinen Händen, Andreas‘) und grandios witziger Erniedrigung (‚Du verpestest die Atmosphäre mit deinem Irrsinn‘). Und da sehen die Video-Insektenmonster hinten auf der Leinwand plötzlich ganz klein und unbedeutend aus. Und Ostermeiers Großszenensucht wird zum wahren Seelenrahmen. Wascke und die Hoss bringen es zum absoluten Verzweiflungschlinch, wo er sie schlägt, sie ihn tritt, die beiden sich (‚Bleib!‘) zugleich hilflos streichelnd umarmen, einen wunderbar herb-grotesken Hauch von Anti-Sartre ins Spiel: Die Hölle sind nicht die anderen, die Hölle sind wir selbst – schon im Fegefeuer. Das alles in einer Sprache eleganter Beiläufigkeit, die das Wichtige und Tiefe an der Oberfläche unterbringt, von wo aus die Worte den Figuren davonlaufen, ihnen eine Nase drehen und ihnen dann wieder ins Hirn springen. Und so erweist und beweist sich Yasmina Reza wieder als die große Paar-Dramatikerin, die witzigste, die wir haben.“
Gerhard Stadelmaier, Frankfurter Allgemeine Zeitung
„ … Yasmina Rezas Bella Figura ist ein Stück, welches die Neugier des Zuschauers stillt bezüglich der Frage: Was treibt all die anderen Menschen an, die ich niemals begreifen werde, da sie sich weigern, identisch zu sein mit mir selbst? Rezas Antwort lautet: Es ist nicht der Rede wert, was sie antreibt. Sie haben kein Geheimnis, sie haben nur Druck. Bella Figura ist dazu geeignet, den Zuschauer in seiner Sorge zu beruhigen, andere Menschen könnten erfüllter leben als er selbst. Nein, diese anderen sind erfüllt von Scham und der Angst etwas zu verpassen.
Rezas Welt ist besiedelt von Menschen, die nicht Herr ihrer selbst sind. Unter ihren Zwängen, Wünschen, Lügen – all das symbolisiert durch den Marimba-Alarmton ihrer Handys – leiden sie wie Rennpferde unter den Sporen ihrer Reiter. Namentlich Boris ist eine typische Reza-Figur: ein ausrastender Citoyen, vor sich hin qualmend in einem Stadium des ewigen Vor-Burn-outs.
… Der Wunderautomat der bürgerlichen Seitensprungkomödie rasselt dahin – bis zur Entblößung aller. Der vernünftige Impuls wäre, diesen Parkplatz des Grauens nach fünf Minuten zu verlassen, doch Rezas Figuren sind von einem Fluch dorthin gebannt. Anstatt zu fliehen, trinken sie Champagner miteinander und bewahren Haltung, während Hass und Angst an ihren Nerven zerren. Sie machen bella figura.
… Der Mensch wird sich nicht mehr lange halten, er ist nicht würdig, zu überleben, und die Kakerlaken warten nur, bis sie den Laden übernehmen können. Die Figuren auf der Bühne spüren das selbst. Deshalb werfen sie immerzu fantastische Medikamente ein, Codein-Paralazol, Prontal, XTralan; auch nach Zusammenbrüchen, die das Ende bedeuten, wird einfach weitergemacht. Das ist die eigentliche Katastrophe: Es gibt nichts, was die Gestalten daran hindern könnte, weiterzumachen wie bisher.
Der handwerkliche Glanz von Stück und Aufführung macht indessen beide zu Produkten des großen ‚Immer so weiter‘- der Abend ist sehr einverstanden mit dem Unglück, das er verhandelt. Was sah man? Einen Splitter von der Apokalyse, eine Parkplatzuniversalkatastrophe. Das funktioniert wunderbar auf der Bühne, es funkt verräterisch perfekt.“
Peter Kümmel, Die Zeit
„ …Filigrane Dialoge und bittere Wahrheiten: Yasmina Reza beweist einmal mehr ihr Talent, tiefste, schmerzlichste Beziehungsabgründe auszuloten.
… Man könnte jetzt sagen: Dieses Setting (zwei Paare und Beziehungsfrust) kennen wir. Yasmina Reza schreibt, was sie am besten kann … Am Ende ist es doch beeindruckend, mit welcher Präzision das Duo Reza-Ostermeier diese fünf Figuren – und damit uns – seziert. Es tut weh! Und das ist ja so gedacht.“
Inforadio
“ … Ihre wenigen Figuren sachte anzustoßen, so dass sie wie Billardkugeln nach einigen Bandberührungen zwangsläufig aneinanderstoßen und unberechenbare Bewegungen in Gang setzen: Das beherrscht die Dramatikerin Yamina Reza vortrefflich. Weltbekannt wurde sie mit ‚Der Gott des Gemetzels‘, nun hat sie eigens für die Schaubühne und ihren künstlerischen Leiter Thomas Ostermeier das Stück ‚Bella Figura‘ geschrieben. Eine neue Sezierstunde alltäglicher menschlicher Grausamkeit ist das, sorgfältig freigelegt Lage um Lage.
…Bella Figura machen, das heißt Haltung bewahren. Als die zufällige Lokalgemeinschaft beim Abschied eine Sternschnuppe sieht, scheinen die Charaktere selbst nicht zu wissen: Was sollen sie sich wünschen? Und was sollen wir ihnen wünschen, was uns selbst? Ein kluger, schmerzhafter Theaterabend.“
Anja Rützel, Stuttgarter Nachrichten
Sie ist Expertin für das Gefühlsleben der Wohlstandbürger. Ihr neues Beziehungsdrama schrieb die französische Autorin Yasmina Reza (‚Der Gott des Gemetzels‘, ‚Kunst‘) eigens für die Berliner Schaubühne. Dort wurde ‚Bella Figura‘ am Samstagabend mit Stars wie Kinoschauspielerin Nina Hoss und ‚Tatort‘-Kommisar Mark Waschke uraufgeführt – und die machten in dem tragikomischen Stück über die Abgründe hinter der wohlanständigen Bürgerlichkeit im wahrsten Sinne des Wortes „Bella Figura“, eine gute Figur. Das Publikum applaudierte Reza, den Schauspielern und Regisseur Thomas Ostermeier lange.
dpa
… Eine Konstellation, die reichlich Gelegenheit bietet für Rezas gefeierte Dialoge, diesem Eiertanz auf der bürgerlichen Höflichkeitsoberfläche. Schnell wird sie brüchig, weil Andrea es darauf anlegt, alle wissen zu lassen, was hier gespielt wird - und Francoise keine Anstalten macht, die Augen zu verschließen- Diese Momente funkeln, schließlich hat Ostermeier ein All Star-Ensemble zusammengetrommelt.
Georg Kalisch, Berliner Morgenpost
… Die kleinen Fluchten zum Glück, die in Sackgassen enden – das ist wieder einmal das große Thema der französischen Erfolgsautorin, die das Leben, die Menschen kennt wie keine zweite.
… Unter der boulevardesken Oberfläche lauert die Tragödie. Darin liegt die Meisterschaft der Autorin.
Sabine Dultz, Münchner Merkur
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